28. September 2021
Vielleicht nicht heute. Vielleicht auch noch nicht morgen. Aber der Sinneswandel liegt schon in der Luft.
Von Barbara Jahn
Zukunft bedeutet Bewusstsein schaffen und bewusst leben. Das war auch die Intention von ENI gesponserten Installation in der Zona Brera in Mailand.
© Interni / Creative Connections
Woher kommt es? Was kann es? Wie wird es produziert? – Bevor jemand heute ein Produkt kauft, will er vieles darüber wissen. Was es kostet, scheint daneben fast schon sekundär. Das war nicht immer so. Schnäppchenjagden und Rabattschlachten wurden zum heißersehnten Fixpunkt des Kalenderjahres, ein hemmungsloses Sich-Unterbieten bis weit unter die absolute Schmerzgrenze, und niemand fragte sich dabei auch nur einen Moment lang, dass sich das alles nicht mehr ausgehen kann. Wer zahlt dann den Preis? Doch die „Geiz ist geil“-Ära dürfte überstanden sein. Begehrlichkeit darf jetzt etwas kosten.
Den Ursprung eines Produktes zu kennen, wird immer wichtiger, und es verbindet: Das portugiesische Label Cork Units stellt in Portugal Accessoires aus portugiesischem Kork her.
© Cork Units
Das ist nur ein Aspekt eines aufkeimenden Bewusstseins, das unter anderem damit einhergeht, dass immer klarer wird, dass unsere Ressourcen endlich sind und es keinen Planeten B gibt. Der Blick auf die Dinge hat sich gewandelt, ein „Weniger statt Mehr“ erreicht die menschliche Seele, die weiß, dass die Uhr tickt, und sich deshalb auf die wirklich schönen Dinge konzentriert, vor allem wenn diese eine wunderbare Geschichte zu erzählen wissen. Zum Beispiel von jenem Baum, aus dessen Holz sie gemacht sind, oder von der Landschaft, in dem ein Tier ein friedvolles, würdiges Leben verbracht hat.
Auch Plastik hat seine guten Seiten: Viele Konzerne wie Edra denken um und bringen Kunststoff und Natur in Einklang.
© Edra
Die Schönheit eines mundgeblasenen Glases oder einer handverlesenen Naht, der Geruch von Leder und Naturstein, die mit der Zeit reifen und nicht altern wie der hochkarätige Whiskey in der Flasche – sie sind das neue Erlebnispaket des Einrichtens, das in Zukunft auch wieder mehr Bedacht auf Instandsetzung nehmen wird, anstatt den Markt mit noch mehr Produkten zu fluten, die am Ende zum Ladenhüter werden. Das einzelne Stück bekommt einen neuen Wert beigemessen und damit zugleich eine angemessene Lebensberechtigung, die unter Umständen über Generationen reicht.
Schauplatz Triennale di Milano: Designklassiker erleben ihre Hochblüte-Zeit: Sie verkörpern das, wonach sich Menschen gerade sehnen.
© Triennale Milano / Gianluca Di Ioia
Es kommt nicht von ungefähr, dass viele Klassiker des 20. Jahrhunderts so großen Erfolg haben, vielleicht sogar noch einen größeren, als zu der Zeit, in der sie „geboren“ wurden. Mit ihnen kann eine bestimmte Sehnsucht befriedigt werden, die sich aus verschiedensten Komponenten zusammensetzen lässt: Für die einen ist es das Flair der positiven Aufbruchstimmung der 1950er und 1960er Jahre, für die anderen die Hochwertigkeit und der Respekt gegenüber Handwerk und Ressource, die hier zum Tragen kommen. Ein Revival dieser Stimmung könnte nun nachhaltig gelingen.
Ein Ziel, aber viele Wege: Gerade im Design gibt es eine riesige Bandbreite von Möglichkeiten, die ein Vorhaben realisieren lassen – wie hier der Medaillon Chair von Dior in verschiedenen Interpretationen.
© Alessandro Garofalo
Unter dem Strich ist der Mehrwert eines Produktes mehr wert. Endlich. Am Ende des Tages hat all das auch viel mit Vertrauen und Kundenbindung zu tun. Die Zeit ist reif für einen Wandel im Denken, das Regionalität, Persönlichkeit und Pflichtbewusstsein in den Mittelpunkt stellt. Wenn ein Produkt nicht mehr weggeschmissen werden muss, sondern wiederinstandgesetzt werden kann, haben alle gewonnen – der Kunde, der Produzent und die Umwelt. Eine neue Wertigkeit, die demjenigen, der etwas in Handarbeit herstellt wieder den gebotenen Respekt entgegenbringt und Dinge von Anfang der Materialgewinnung bis zum Ende des Lebenszyklus fertig denkt – sie kommt, wenn sie nicht schon da ist.